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Kommunikation bringt kollaborative Geschäftsmodelle zum Leben

von Anja Montag – 17. Oktober 2016

 

Sie behaupten, Industrie 4.0 erfordert eine neue Kommunikation. Was meinen Sie damit?

Pfannenberg: In der bisherigen Produktions- und Logistikwelt sorgt die Kommunikation dafür, dass die Informationen zwischen den beteiligten Menschen fließen – die klassische Unterstützungsfunktion. Mit den neuen digitalen Geschäftsmodellen, insbesondere auch mit Industrie 4.0, ist die Kommunikation selbst in den Kern des Wertschöpfungsprozesses eingelassen: In Zukunft wandert das Produkt oder das Werkstück von Prozessschritt zu Prozessschritt und organisiert sich über sein digitales Doppel selbst die notwendigen Komponenten, Produktionsmittel, Qualitätskontrollen und sogar die eigene Distribution und Nachbestellung – über die Unternehmensgrenzen hinweg.

Das klingt für viele Führungskräfte und Mitarbeiter erst einmal befremdlich…

Fest steht, Industrie 4.0 schafft keiner allein, das wird nur mit einer neuartigen Vernetzung und unternehmensübergreifender Zusammenarbeit funktionieren. Auch der Charakter von Innovation wird sich verändern. An der Spitze der Wertschöpfungspyramide werden die Unternehmen stehen, die in Bezug auf die industrielle Produktion und Logistik von vornherein in offenen Strukturen und kollaborativ denken und handeln – das können Internet-Unternehmen sein wie Google, Maschinenbauer, Logistiker oder auch Unternehmen eines ganz neuen Typs, die sich als Systemintegratoren aufstellen.

Offene Strukturen und Kollaboration: Damit werden sich viele klassische Maschinenbauer schwer tun!

In der Tat läuft Innovation bei deutschen Maschinenbauern bisher noch eher nach dem klassischen Muster ab: als Prozess im Unternehmen, mit eigenen Ressourcen, teilweise unterstützt durch Universitäten und Institute. In seinem Buch „Exponential Organizations“ hat Salim Ismail umrissen, worum es in Zukunft geht: Erfolgreiche Unternehmen werden die wesentlichen Assets und Ressourcen nicht mehr selbst besitzen, die in ihrem Innovations- und Geschäftsprozess eine Rolle spielen. Über Vernetzung und intelligente Algorithmen binden sie die Ressourcen anderer Unternehmen, aber auch die von Kunden und anderen Stakeholdern in ihre Wertschöpfung ein. In diesem Sinne sind Industrie 4.0-Unternehmen vom Prinzip her Organisationen mit exponentiellen Wachstumschancen. Aber „Exponential Organizations“ beschreibt auch, dass diese eine neue Unternehmenskultur und eine neue Beziehung zu externen Stakeholdern erfordern, so wie sie eher typisch für digitale Start-ups sind.

Wie können die Weichen in Richtung Vernetzung und Kollaboration umgestellt werden?

Viele denken dabei zuerst an die technischen Systeme, aber das ist zu kurz gegriffen. Vernetzung und Kollaboration sind wesentliche Kommunikationsaufgaben. Die Kommunikation muss die Führungskräfte und Mitarbeiter für eine neue Art der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit aktivieren und alte Verhaltensmuster überwinden helfen – das ist Veränderungskommunikation. Noch wichtiger ist aber, dass Plattformen für den Austausch geschaffen werden und die neue Art der Kommunikation initiiert wird.

Wie kann diese Art des Austauschs in Gang gebracht werden?

Zu Beginn geht es darum, Informationen und Meinungen von außen in das Unternehmen hereinzuholen und so neue Perspektiven zu eröffnen. Gleichzeitig wird der Austausch im Unternehmen intensiviert, auf internen Plattformen. Wenn dies funktioniert, kann das Unternehmen die internen Plattformen schrittweise für Externe öffnen und dort erst den Austausch mit den potenziellen Partnern und dann schrittweise auch die Arbeit an gemeinsamen Projekten hochfahren. Im dritten Schritt werden an diese Plattformen auch die neu entstandenen kollaborativen Geschäftsprozesse angedockt, zum Beispiel Konfiguratoren für Anlagen, Ordersysteme, Trainings, diverse Services, Steuerung von Anlagen und Wartung – eben alles, was Industrie 4.0 ausmacht.

Wie müssen diese Plattformen betextet und gestaltet sein?

Es reicht nicht aus, dass die Geschäftsleitung für das Foto nun die Krawatte ablegt und den oberen Hemdknopf öffnet. Es braucht klare Signale für weniger Hierarchie und mehr Austausch, für Agilität und Authentizität. Das zielt auf die Frequenz: Lieber kürzer und dafür öfter. Lieber stark persönlich als mit strategischem Weihrauch. Das verschiebt die Schwerpunkte bei den Kanälen: Social Media statt News. Nicht zuletzt viel ungefiltertes, schnell gedrehtes und geschnittenes Bewegtbild, also Vodcasts mit authentischen Äußerungen und ohne Imagequark. Das bedeutet auch, dass Kanäle geschaffen und offen gehalten werden, in denen jeder Mitarbeiter und dann auch die Kollaborationspartner ihr selbst produziertes Material veröffentlichen können – angefangen beim Blogbeitrag über das Handyfoto mit Kurztext bis hin zum selbstgefilmten Statement in der Videobox.

Machen die Mitarbeiter und die anderen Stakeholder da überhaupt mit?

Eine berechtigte Frage, denn wir reden hier von kulturellen Veränderungen auch im Kommunikationsverhalten. Sicherlich nimmt die Geschäftsleitung da eine Schlüsselrolle ein, muss die Signale setzen. Noch wichtiger ist aber: Ins Rollen kommt der Dialog auf den Plattformen nicht allein dadurch, dass man diese bereitstellt. In den ersten Monaten braucht es stets eine starke Anschubkommunikation und die persönliche Ansprache von potenziellen Autoren sowie umfangreiche handwerkliche Hilfestellungen. Mediales Kommunizieren will gelernt sein – das gilt erst recht für Nicht-Kommunikatoren. Wer will es ihnen verdenken?!